Gemeinsames Wandern & Walks in Silence

Vor wenigen Tagen hatte ich noch das Gefühl, dass ich nun bald ganz ohne Stationen und Begleitung unterwegs sein würde – einsam in der Dunkelheit und Kälte des Winters im Norden Deutschlands. Doch innerhalb weniger Tage hat sich alles gedreht: Nach meinem wunderschönen Aufenthalt auf dem Örkhof hatte ich auf dem Weg nach Münster an vier von fünf Tagen Begleitung – worüber ich mich sehr gefreut habe.
Gleich am Morgen des ersten Tages begleiteten mich mit Mila und Petra zwei Bekannte, die im Frühjahr einen Achtsamkeits- und Pilgerworkshop in der Pfalz bei mir besucht hatten. Petra kam vor wenigen Wochen vom Pilgern auf dem Camino Português zurück, den sie allein gegangen war – und darüber unglaublich glücklich. Mila möchte ebenfalls bald ihr großes Pilgerabenteuer starten, aber der richtige Zeitpunkt, loszugehen, ist bisher noch nicht gekommen. So ging es unterwegs viel ums Pilgern, und ich habe einfach zugehört – was ich auch genießen kann. Ich muss nicht immer in Stille gehen.
Am dritten Tag kam Manuel, ein holländischer Filmemacher und Künstler, und am Tag darauf Maria – gleich für zwei Tage. In Münster, wo leider keine Station zustande kam, fand ich für drei Nächte Unterschlupf bei Heike. Danach kam Anja, eine Bekannte, die extra aus Stuttgart angereist war, um mich von Münster aus zwei Tage Richtung Osnabrück zu begleiten. So war ich stetig in wunderbarer Begleitung, und all mein Frust und meine Zweifel der vorherigen Tage waren wie verflogen.
Wenn ich mit Menschen unterwegs bin, die ich vorher noch gar nicht kenne oder nur sehr wenig, ist das jedes Mal wieder aufs Neue spannend. Wer kommt da? Was ist ihre Motivation, mit mir zu gehen? Welche Erwartungen haben sie an die gemeinsame Wanderung? Sind sie neugierig auf mich, auf die Stille? Und wie werden sie sich unterwegs machen? Lassen sie sich auf die Stille ein, auf das weite Gehen? Haben sie genug zu essen, zu trinken, die richtige Kleidung? Es ist ein bisschen wie ein Überraschungsei.
So fühlt sich die erste Begegnung oft an wie ein erstes Date. Es liegt – wohl auf beiden Seiten – immer eine leichte Spannung in der Luft. Bewährt hat sich, nach einer kurzen Begrüßung einfach loszugehen. In letzter Zeit gehe ich meist erst einmal eine Stunde oder länger, ehe ich für eine Pause anhalte und den Redestab reiche. Er signalisiert, dass nun Raum zum Erzählen ist – und wenn es nichts zu sagen gibt oder man lieber in Stille bleiben möchte, wird er einfach wieder zurückgereicht.
Was ich sehr erstaunlich finde, ist, was in diesen ersten gemeinsamen Kilometern passiert. Am Anfang ist da noch die Spannung, die mit jedem Schritt nachlässt. Wenn es der Weg zulässt, versuche ich, nebeneinander zu gehen, um keine Hierarchie entstehen zu lassen. Ich merke auch schnell, wie jemand unterwegs ist: Manche nehmen aufmerksam die Umgebung wahr, andere sind in sich gekehrt und blicken meist auf den Boden. Man erkennt am Gehen, ob jemand leichtfüßig ist oder schwere Schritte setzt. Nach dieser ersten Stunde habe ich oft das Gefühl, den anderen zu kennen – obwohl kaum ein Wort gefallen ist. Es entsteht eine Verbindung.
Der Schweizer Jesuit und Zen-Meister Niklaus Brantschen sagt, dass er vor wichtigen Gesprächen mit Menschen, die zu ihm kommen, um Rat zu suchen, erst eine halbe Stunde mit ihnen schweigend spazieren geht – um eine andere Tiefe zu erreichen. Ich kann das nach meinen Erfahrungen der letzten Monate absolut bestätigen. Wenn ich nach einer Stunde den Redestab reiche, kommen oft Dinge, die sehr schnell zum Kern führen. Es wird nicht mehr nach Worten gesucht – sie sind einfach da und wollen erzählt werden.
In Ettlingen kam einmal eine Frau nach einem Walk in Silence zu mir und sagte, dass sie den Tag in Stille so prägend fand, dass sie das nun selbst mit ihren Frauengruppen machen möchte. Bisher waren sie immer gemeinsam walken, um Gemeinschaft und Verbindung zu finden – im Austausch, im Gespräch. Doch das Schweigen in der Gruppe hat sie viel tiefer berührt.
Zuerst habe ich mich über dieses Feedback gefreut. Doch dann kam mir der Gedanke: „Ist es wirklich so einfach?“ Kann einfach jeder einen Walk in Silence oder ein achtsames Wandern in Stille anbieten? In gewisser Weise ja – und gleichzeitig braucht es doch etwas, das man nicht so leicht lehren kann: die Fähigkeit, die Stille zu halten.
Das bedeutet für mich, präsent zu sein. Wer meditiert, kennt das. Theoretisch kann jeder eine Meditation anleiten – sich mit einer Gruppe hinsetzen, zwei Mal 40 Minuten in Stille, dazwischen eine Gehmeditation. Doch ob man auch den Raum halten kann, ist etwas anderes. Ich habe oft erlebt, dass die bloße Anwesenheit eines Mönchs oder einer Nonne, die ihr Leben dem Gebet oder der Meditation widmen, die Atmosphäre eines Raumes völlig verändern kann.
Ich denke, dass ich als Meditations- und Achtsamkeitslehrer in den letzten Jahren gut gelernt habe, Räume zu halten – präsent zu bleiben, wenn andere sich schwer tun. Das wird mir auch immer wieder gespiegelt, auch wenn ich selbst noch Entwicklungspotenzial sehe.
Vielleicht hilft mir dabei auch meine lange Erfahrung mit Gruppen: Seit meinem 15. Lebensjahr leite ich Menschen beim Wandern an – erst bei den Pfadfindern, später im Rahmen meiner Kunstprojekte, die oft wie kleine Expeditionen angelegt sind und dann bei den vielen Workshops, die ich draußen in der Natur in den letzten gegeben habe. Ich fühle mich draußen sicher, und das überträgt sich. Vielleicht ist das vergleichbar mit einem Bergführer, der nicht viel sagen muss, weil die Gruppe spürt, dass er sich seiner Sache bewusst ist und man ihm vertrauen kann – auch dann, wenn er entscheidet umzukehren.
Ich nehme an, dass dieses Raumhalten und das bewusste In-Verbindung-Gehen mit den Menschen, die mich begleiten, zumindest in Teilen dazu beiträgt, dass bisher fast alle, die mit mir gewandert sind, etwas Wertvolles aus dieser gemeinsamen Zeit mitgenommen haben. Vieles Davon war früher unbewusst, gelernt über viel Jahre und nun kann ich es unterwegs einfach abrufen und manches auch bewusst einsetzten.
Von zwei besonderen Begegnungen möchte ich in den nächsten Beiträgen erzählen – weil sie mich mit ihren Geschichten tief berührt und zum Nachdenken gebracht haben.