Tag 109 – Loslassen und weitergehen

Als mir Becky mitteilte, dass Essen als Station abgesagt hatte, war das der Tiefpunkt dieser Tage. Doch gerade in diesem Moment der Enttäuschung traf ich innerlich eine Entscheidung.
Wir hatten nicht nur Absagen bekommen, sondern auch viele wohlwollende Rückmeldungen von Institutionen, die wirklich bemüht waren, etwas zu ermöglichen – es aber aus organisatorischen Gründen oder wegen Personalmangel nicht umsetzen konnten. Mir wurde klar: Es sollte gerade einfach nicht sein.
Es lag nicht am Projekt. Dafür habe ich in den vergangenen Monaten zu viele positive Rückmeldungen und Erfahrungen gesammelt, die mir ein tiefes Vertrauen in das geben, was ich tue. Ich stellte mein künstlerisches Konzept nicht infrage – aber ich spürte, dass das Leben mich auf einen anderen Weg führen wollte.
Ich habe in meinem Leben oft erlebt, dass man Dinge noch so gut planen kann – und sie sich dann doch anders fügen. Je schneller man loslässt und in sich hineinspürt, desto eher zeigen sich neue Wege.
Und so war es auch diesmal.
Nachdem ich kurz in mich gegangen war, nahm ich die ganze Enttäuschung und den Frust bewusst wahr – aber darunter lag auch ein Gefühl, dass ich trotzdem auf dem richtigen Weg bin. Ich schrieb Becky, meiner Projektmanagerin, von der ich wusste, dass sie ihr Bestes für mich und das Projekt gab::
„Schade! Aber vielleicht sollen wir das so annehmen. Es gibt wohl erst einmal keine Stationen mehr. (…)
Ich werde mich darauf einstellen und schauen, was das bedeutet. Einige Menschen wollten mich ja privat begleiten, und auch Unterkünfte wurden mir angeboten. Vielleicht sind das genau die Begegnungen, die jetzt dran sind.“
Und tatsächlich: Noch am selben Tag, an dem ich innerlich losgelassen hatte – von der Vorstellung, dass mein Projekt nur mit großen Partnern und Institutionen „gültig“ ist – begann sich etwas zu bewegen.
Maria meldete sich, die mich schon früher eingeladen hatte, bei ihr in der Nähe von Düsseldorf zu übernachten. Sie hatte von meinem Projekt über ihren Sohn gehört, der in Neustadt an einer Dyade teilgenommen hatte. Sie verfolget online meinen Weg und stellte nun fest, dass meine neue Route direkt an einem Demeter-Bauernhof vorbeiführte, den sie kannte, und wollte dort für mich anfragen. Außerdem überlegte sie, mich zwei Tage zu begleiten – was sie später auch tat.
Dann schrieb mir Manuel, ein Künstler und Dokumentarfilmer, der wie ich lange in Brasilien gelebt hat. Auch er hatte zufällig von meinem Projekt gehört und wollte ein Stück mit mir gehen, wenn ich in seiner Nähe sei.
In Münster konnte ich bei Bekannten privat unterkommen, und zwei ehemalige Teilnehmerinnen eines Achtsamkeits-Pilgerworkshops meldeten sich, um mich für einen Tag zu begleiten.
Wie aus dem Nichts ergaben sich plötzlich neue Wege – Menschen, Orte, Begegnungen.
Ich musste erst loslassen: die Idee fester Stationen, die Planung, das institutionelle Gerüst. Und genau in diesem Moment öffnete sich etwas anderes – persönlicher, etwas leiser, aber vielleicht auch etwas tiefer.
Beim gemeinsamen Gehen, beim Tee am Küchentisch, beim Helfen auf dem Bauernhof entstanden Begegnungen in Stille, die durch ihre Nähe und Zeit eine Tiefe bekamen, wie sie in offiziellen Settings kaum möglich ist.
Solange solche Begegnungen geschehen, gibt es keinen Grund zu zweifeln. Ich muss nur weitergehen – Schritt für Schritt, im Vertrauen, dass mir die richtigen Menschen begegnen werden.
Am nächsten Morgen machte ich mich bei nassgrauem Wetter von Leverkusen aus auf den Weg durchs Bergische Land. Und obwohl der Himmel schwer war, trug ich die Sonne im Herzen. Die Zuversicht war zurück – und mit ihr das Gefühl, dass der Weg mich weiterträgt.
