Tag 110 – Von Leverkusen durch den Ruhrpott


Von Leverkusen führte mich mein Weg durch das Bergische Land Richtung Örkhof – einem Demeter-Bauernhof, den mir Maria vermittelt hatte und auf dem ich ein bis zwei Nächte übernachten konnte. Von dort ging es weiter durch den Ruhrpott, zwischen Essen und Bochum hindurch, Richtung Münster.
Das Bergische Land kannte ich bisher nur dem Namen nach. Ich hatte keinerlei Vorstellung, was mich dort erwarten würde. Vor der Routenänderung war ich eigentlich davon ausgegangen, dass ich nach Bonn – dem Rhein folgend bis Düsseldorf – alle Hügel hinter mir gelassen hätte. Und auch Komoot hatte mir für den restlichen Weg bis Hamburg nur rund 1.000 Höhenmeter angezeigt, die man in den Alpen an einem einzigen Tag zurücklegt. Doch nun ging es wieder auf und ab, und ich war positiv überrascht von der ländlichen Schönheit dieser Region.
Gerade im Herbst zeigte sich entlang der Wupper eine sanfte, stille Landschaft. Auch wenn die Sonne sich kaum zeigte, konnte ich meine Wanderung in vollen Zügen genießen – und mein Abendessen mit ein paar frisch gesammelten Schwammpilzen auf dem Kocher verfeinern.
Vor allem tat mir das Gehen wieder gut. Nach fast zehn Tagen mit wenig Bewegung – durch die Pause zu Hause und die Aufenthalte in Köln und Leverkusen – merkte ich, dass das Nichtwissen, wie es weitergeht, auch mit dem Stillstand der letzten Tage zu tun hatte. Bewegung im Außen bringt Bewegung im Inneren – und jeder Schritt löst etwas, das vorher festgehalten war.
Auch das Ruhrgebiet hat mich überrascht – und zwar positiv.
Ich muss gestehen, ich hatte mich etwas gefürchtet, es zu durchwandern. Michael Holzach, der 1980 ohne Geld durch Deutschland zog und dessen Buch mich stark beeinflusst hat, beschrieb das Ruhrgebiet als Tiefpunkt seiner Reise: geprägt von Industrie, stinkenden Flüssen und dichter Besiedelung.
Ich war darauf eingestellt, Ähnliches zu erleben – schwere Etappen, kaum Orte, an denen man in Ruhe zelten kann, vorbei an stillgelegten Minen und riesigen Industrieanlagen. Doch so war es nicht.
Vielleicht lag es an Komoot, das meist Wege durch landschaftlich reizvollere Gegenden wählt. Ich hatte jedenfalls kaum das Gefühl, in einem Ballungsraum unterwegs zu sein. Nur wer genau hinsah, entdeckte Spuren der Vergangenheit: Schilder, die vor einsturzgefährdetem Boden warnten, Straßennamen, die an alte Zechen erinnerten, bewaldete Hügel, die früher Abraumhalden waren.
Der Strukturwandel ist hier weit fortgeschritten – und es war gut, das mit eigenen Augen zu sehen, auch wenn ich natürlich nur Ausschnitte erlebt habe. Es hat mir geholfen, auch in meinem Kopf alte Bilder zu überdenken. Vielleicht beginnt jeder äußere Strukturwandel mit einem inneren.
