Tag 67 – Eintauchen in andere Welten -Teil 2: Wenn gerettete Lebensmittel Menschen verbinden

Nachdem das ständige Auf und Ab im Odenwald seinen Tribut forderte und meine Knie zu schmerzen begannen, war ich froh über Bernds Tipp, seine Nichte Kira zu besuchen. Sie besitzt mit ihrem Mann Matthias ein großes altes Haus direkt an meiner Wegstrecke und bot mir für ein paar Tage eine willkommene Pause.
Als ich ankam, zeigte mir Matthias das geräumige Haus. Am Ende der Führung öffnete er einen prall gefüllten Kühlschrank und lud mich ein, mich frei zu bedienen. Er erklärte mir, dass all diese Lebensmittel gerettet worden waren. Er und Kira sind als sogenannte „Foodsaver“ aktiv und fahren regelmäßig Supermärkte im Umkreis ab, um Lebensmittel abzuholen, die sonst im Müll landen würden – im Schnitt eine Kofferraumladung pro Tag, zusätzlich zu den Lebensmitteln, die die Tafeln bereits abgeholt haben.
Am Abend durfte ich Kira zu einer Rettungsaktion bei Edeka und Aldi begleiten. So stand ich dann an den Laderampen und half, Unmengen noch genießbarer Lebensmittel zu verladen – teilweise war das Brot sogar noch backwarm, weil die Supermärkte am Abend einfach die letzten Teiglinge verbacken, unabhängig davon, ob sie noch verkauft werden. Es ist erschreckend, welche Mengen an guten Lebensmitteln entsorgt werden – und umso mehr hat mich die Initiative der beiden begeistert.
In ihrer Garage wurden die geretteten Lebensmittel auf Tischen verteilt und über eine WhatsApp-Gruppe zur Abholung freigegeben. Zusätzlich gibt es in der Umgebung sogenannte „Fairteiler“-Schränke, finanziert von der lokalen Sparkassenstiftung. Schon wenige Minuten, nachdem die Lebensmittel bereitstanden, kamen die ersten Menschen vorbei – nicht nur sozial schwache Menschen, sondern auch Nachbarn oder Leute, denen die maßlose Verschwendung in unserer Gesellschaft einfach zuwider ist.

Was mich besonders beeindruckt hat, war die Atmosphäre: Es blieb nicht beim schnellen Einpacken wie im Supermarkt. Das gemeinsame Element – das Retten von Lebensmitteln und das Engagement gegen Verschwendung – verband die Menschen. Hier trafen sich Leute aus allen Gesellschaftsschichten, tauschten sich aus und kamen in Kontakt. Ich hatte das Gefühl, dass daraus nicht nur oberflächliche Gespräche, sondern richtige Begegnungen entstanden, aus denen sogar Freundschaften und Netzwerke hervorgingen.
Jemand kochte aus überreifen Früchten Marmelade und verschenkte sie. Ein Mann erzählte von den Problemen zu Hause, nachdem seine Frau operiert worden war. Andere verabredeten sich, um im Sommerurlaub gegenseitig auf Blumen und Katzen aufzupassen.
Diese Gemeinschaftsbildung funktionierte so gut, dass sich vor einiger Zeit auch zwei Männer dem Verein anschlossen, bei denen sich jedoch schnell herausstellte, dass sie andere Ziele verfolgten. Sie weigerten sich, Essen in Viertel mit vielen Ausländern zu bringen, und äußerten sich rassistisch. Als man erkannte, dass es sich um AfD-Funktionäre handelte, die ihr Image aufpolieren und die Gemeinschaft nur auf Menschen in ihrem Weltbild beschränken wollten, wurden sie ausgeschlossen. Sie gründeten daraufhin ihren eigenen Verein und fahren nun ein ähnliches Programm – allerdings exklusiv für Menschen, die sie als „hilfsbedürftig“ ansehen.
All das waren für mich sehr prägende Erlebnisse. Einerseits war es wie im Schlaraffenland – so viel Essen, nachdem ich zuvor nur aus meinem Rucksack gelebt hatte. Andererseits war ich davon auch überfordert, vor allem vor dem Kühlschrank: Was zuerst essen? Angebrochene Dinge, die mit dem ältesten Datum, Milchprodukte oder Früchte? Schließlich piepste auch noch der Kühlschrank, weil ich die Tür zu lange offenhielt, da ich mich nicht entscheiden konnte.
Da wurde mir bewusst, wie angenehm es sein kann, nur eine kleine, feine Auswahl an Dingen bei sich zu haben – und einfach zu essen, was gerade da ist, ohne vorher in Verzweiflung zu geraten, was man zuerst essen „sollte“.
