Tag 83 – Wiesbaden – Begegnungen im Künstlerhaus 43

Schon früh hatte Becky begonnen, nach einem Ort in Wiesbaden zu suchen, an dem ich zuhören könnte. Lange sah es so aus, als ob der Nassauischer Kunstverein mit uns kooperieren würde. Doch das Datum, das sie mir angeboten hatten, lag zu weit in der Zukunft – fünf Tage hätte ich überbrücken müssen, und so viel Zeit wollte ich auf meinem Weg nicht verlieren. Ich wollte weiter nach Norden.
Becky gab nicht auf. Sie schrieb noch einmal verschiedene Institutionen an – und schließlich sagte das Künstlerhaus 43ganz kurzfristig zu, mich als Gast aufzunehmen. Als alles geregelt war, blieben nur noch wenige Tage bis zur Umsetzung – und dazwischen lag auch noch ein Wochenende. Entsprechend kurzfristig konnte die Aktion angekündigt werden.
Es war meine erste Station ohne jegliche persönlichen Kontakte vor Ort. Wir wussten überhaupt nicht, was uns erwartet. Ich versuchte deshalb, mich innerlich davon zu lösen, dass unbedingt Menschen kommen mussten. Doch das Künstlerhaus gab sein Bestes, machte Werbung und stellte einige Posts online.
Als ich am Tag der Begegnungen kurz vor 14 Uhr dort ankam, war im Innenhof des ehemaligen Palasthotels – heute Sitz des Künstlerhauses – schon alles für mich vorbereitet. Ich wurde Rolf vorgestellt, einem ehrenamtlichen Mitarbeiter, der mir für den Nachmittag zur Seite stehen sollte: Er würde Besucher:innen empfangen, ihnen das Projekt erklären und sie begleiten, bis ich frei war.
Rolf war früher Richter am Verwaltungsgericht und ist im Ruhestand leidenschaftlicher Fotograf geworden. Und er erwies sich an diesem Tag als wahrer Glücksfall. Da in der ersten Stunde niemand kam, erzählte er mir von Wiesbaden, der Architektur des ehemaligen Hotels, der Geschichte des Künstlerhauses – und ein wenig von sich selbst.
Irgendwann wurde er ungeduldig und fragte, ob er nicht einfach auf die Straße gehen solle, um Passanten spontan anzusprechen. Keine zehn Minuten später war er mit zwei jungen Frauen zurück, die sich nacheinander tatsächlich auf eine Begegnung mit mir einließen. Das wiederholte er mehrmals, sodass ich für den Rest des Nachmittags fast durchgehend im Gespräch war.
Ich weiß bis heute nicht, was er den Menschen erzählt hat, aber es muss überzeugend gewesen sein. Er meinte später nur, er könne am Gang der Leute erkennen, ob sie gerade Zeit hätten und offen für so etwas seien.
Mir fiel auf, wie anders solche Begegnungen verlaufen, wenn jemand spontan kommt – ohne sich vorher zu informieren oder sich schon zurechtgelegt zu haben, was er erzählen möchte. Viele waren anfangs etwas unsicher, ließen sich dann aber mutig auf die Dyade ein. Nachdem ich ihnen meinen Flyer gezeigt hatte und etwas klarer machen konnte, warum ich dort sitze und nur zuhöre, entstand fast immer ein echtes Gespräch.
Rolf hatte also entscheidenden Anteil daran, dass diese sehr spontan entstandene Station in Wiesbaden doch noch zu einem wunderbaren Tag wurde. Während meiner Gespräche versorgte er mich immer wieder mit Wasser aus einem der Heilbrunnen direkt vor dem Haus – heißes Thermalwasser, das vom Geschmack her ein wenig an Hühnerbrühe erinnert. Irgendwie passte das perfekt zur besonderen Stimmung an diesem Tag.
Mein Dank gilt an dieser Stelle auch noch einmal ausdrücklich dem gesamten Team des Künstlerhaus 43, das sich so kurzfristig auf mich eingelassen und mir sogar eine Unterkunft bei einem Fördermitglied organisiert hat, wo ich mit einer Schlange übernachtet habe… Aber das ist eine andere Geschichte.
