Ich höre zu – ein Jahr im Schweigen

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Ein Jahr in der Stille – Eine radikale Erkundung des Zuhörens

Was passiert, wenn ein Mensch ein Jahr lang nicht spricht? Wenn er sich ganz dem Zuhören widmet – ohne Unterbrechung, ohne Bewertung, ohne Antwort?

Mit meiner einjährigen, schweigenden Wanderung durch Deutschland wage ich ein künstlerisches und menschliches Experiment: Ich erforsche, wie tiefes Zuhören Räume für authentische Begegnungen schaffen kann. Dabei wird die Stille nicht nur zu meiner Haltung, sondern zur eigentlichen Essenz meiner Kunst.

Ich folge keinem starren Plan, sondern lasse mich von spontanen Begegnungen ebenso leiten wie von gezielten Stationen, an denen ich mein Projekt vertiefe – in Museen, Kirchen, bei Vereinen oder in privaten Haushalten. Mal bin ich Zuhörer in einer strukturierten Dyade, mal stiller Begleiter auf einem gemeinsamen Weg.

Meine Reise beginnt am 20. Juni 2025 zur Sommersonnenwende in Stuttgart, wo ich symbolisch mein Schweigen antrete. Ein Jahr später werde ich zurückkehren – mit einem reichen Schatz an Erlebnissen, Reflexionen und Geschichten, die ohne Worte erzählt wurden.

Hier findest du alle Details zu den verschiedenen Facetten meines Projekts:

Ausgangspunkt und Rückkehr

Meine Heimatstadt Stuttgart bildet den Rahmen für dieses Projekt. Am 20. Juni 2025, zur Sommersonnenwende, werde ich in der Begegnungskirche St. Maria in einem Künstlergespräch mit dem renommierten Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich mein „Schweigegelübde“ ablegen. Nach einem Jahr kehre ich dorthin zurück, um das Schweigen zu brechen und meine Erfahrungen zu teilen.

Kontemplative Dyaden: Zuhören als Methode
In diesen Dyaden sitzt eine Person der anderen gegenüber: Eine spricht, während die andere in stiller, wertfreier Aufmerksamkeit zuhört. Diese Praxis fördert Vertrauen, Selbstreflexion und tiefes Verständnis.
Ich passe diese Methode an, indem es nur einen Erzähler gibt, während ich ausschließlich als Zuhörer agiere. Gemeinsam mit Kooperationspartnern – Museen, Kirchen, Vereinen, Kneipen, Meditationszentren oder vielleicht sogar einem Hospiz – schaffe ich strukturierte Erzählräume. Sie bieten Teilnehmenden die Möglichkeit, ihre Erfahrungen zu teilen und die Kraft des bewussten Zuhörens zu erleben.
Der Ablauf dieser strukturierten Begegnungen ist klar definiert. Teilnehmende erhalten vorab Anweisungen per Text oder Video, sodass während der Dyaden keine weiteren Erklärungen nötig sind. So können sie sich ganz auf das Erzählen konzentrieren und die transformative Wirkung des Zuhörens erfahren.
Fragen für kontemplative Dyaden 
Grundsätzlich sind die Teilnehmenden frei, über Themen zu sprechen, die sie besonders bewegen; vielleicht gerade in diesem Moment der Dyade. Nur wenn es notwendig erscheint, gebe ich den Erzählenden schriftlich konkrete Fragen an die Hand. Diese schaffen einen klaren Rahmen und helfen, die zeitliche Begrenzung der Dyade nicht zu sprengen.

Forschung zur Wirkung des Zuhörens
Studien zu kontemplativen Dyaden belegen: Der stille, nicht wertende Austausch zwischen zwei Menschen schafft tiefere Verbindungen und eröffnet neue Perspektiven. Tania Singer vom Max-Planck-Institut beschreibt diese Praxis als „mentales Training für tolerantere Weltbürger“ [Link]. Diese Forschung fließt direkt in mein Projekt ein.

Gemeinsames Wandern
Ein GPS-Tracker zeigt meinen Standort live auf dieser Projektwebseite, wo auch die nächsten Stationen angekündigt werden. So können Menschen mich begleiten, die Kraft der Stille beim gemeinsamen Wandern erfahren oder an Dyaden-Begegnungen und Silent Walks bei Kooperationspartnern teilnehmen.

Walks in Silence
Gemeinsam mit Kooperationspartnern organisiere ich Walks in Silence – stille Wanderungen mit Gruppen von bis zu zehn Personen, bei denen wir mehrere Stunden oder einen ganzen Tag in der Natur schweigend unterwegs sind. In regelmäßigen Abständen hält die Gruppe an, und eine Person mit einem „Redestock“ teilt ihre Gedanken zu einem Thema. Dieses Format orientiert sich an der „Council“-Methode, inspiriert von indigenen Kulturen. Ziel ist es, durch achtsames Zuhören und respektvollen Austausch eine tiefe Verbindung zu schaffen und zu zeigen, dass tiefes Zuhören seine Kraft auch in Gruppen entfalten kann.

Unterstützung durch Projekt-Assistenz
Eine Assistenz hilft mir, Kooperationspartner zu finden und Abläufe zu klären, sodass ich mich während des Projekts ganz auf das Schweigen und die Begegnungen konzentrieren kann.

Reduzierte Kommunikation
Trotz meines Verzichts auf verbale Kommunikation werde ich für organisatorische Notwendigkeiten einen Schreibblock verwenden. Dieser dient gleichzeitig als Zeugnis dafür, wie sehr Kommunikation reduziert werden kann. Die einzelnen Blätter dieses Schreibblocks werden später in eine Kunstinstallation überführt und Teil der Projektdokumentation.

Diskreter Umgang mit Erzählungen
Es werden keine Aufnahmen der Gespräche gemacht. Ich sammle anonymisierte Reflexionen, die später in ein Buch einfließen, um die Essenz der Begegnungen zu bewahren und die Privatsphäre der Erzählenden zu schützen.

Erwartete Ergebnisse
Aufgrund der Dimension und Radikalität des Projekts erwarte ich vor Beginn und nach meiner Rückkehr ein großes öffentliches Interesse, auch seitens der Medien. Ähnliche Projekte von mir haben in der Vergangenheit gezeigt, dass solche Experimente auf großes Echo stoßen 

Persönliche Reflexion
Wie schon bei den vorangegangenen Performances möchte ich auch hier eine zweite Ebene beleuchten: Welche inneren Prozesse und Erkenntnisse entstehen, wenn ich ein Jahr lang schweige? Diese persönlichen Reflexionen werde ich in einem Blog teilen und später in einem Buch ausführlich aufarbeiten. Darüber hinaus soll es mehrere Vorträge und Künstlergespräche im Anschluss geben, in denen ich über das Erlebte berichte.

Gesellschaftlicher Diskurs über Zuhören und Schweigen
Mein Projekt soll einen Dialog anregen, wie wichtig echtes Zuhören ist – gerade in einer Zeit, in der schnelle und oft selbstbezogene Meinungsäußerungen eine tiefergehende Kommunikation oft verdrängen.

Künstlerische Werke und Installationen
Aus meinen Erlebnissen und Begegnungen sollen Werke entstehen, die sich mit dem Schweigen und Zuhören in der modernen Gesellschaft auseinandersetzen. Diese werden in Ausstellungen und Installationen präsentiert.

 Daniel Beerstecher

Daniel Beerstecher, geboren 1979 in Schwäbisch Hall, lebt und arbeitet in Stuttgart und auf Reisen. Von 2003-2010 studierte Beerstecher an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Er erhielt für seine künstlerische Arbeit zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen und stellte seine Werke international in renommierten Institutionen aus. Dazu gehören unter anderem Einzelausstellungen in São Paulo, Göppingen, Rio de Janeiro, Karlsruhe, Stuttgart und Berlin sowie die Teilnahmen an Gruppenausstellungen im Istanbul Modern; bei der B3 Biennale of the Moving Image, Frankfurt, und der Montevideo Biennale 500 Years of Future als auch in der Kunsthalle Schirn, Frankfurt.
Installationen sowie internationale Reise- und Video-Performances, bei denen Daniel Beerstecher auf ein zufälliges Publikum trifft, charakterisieren sein künstlerisches Schaffen. Die Kunst wird dabei aus den konventionellen Räumen entnommen und entsteht im öffentlichen Raum im Prozess. Dabei ist der Kontakt zum Menschen ein entscheidender Bestandteil seiner Arbeit. Das Ziel dabei ist, neue Interpretationsräume zu erschaffen und in gewissem Sinne auch die etablierte „Weltordnung“ auf die Probe zu stellen.

Ich höre zu – ein Jahr im Schweigen - About
Daniel Beerstecher, Foto: Leah Girardin

Medien

Ein ausführliches Künstlergespräch mit Daniel Beerstecher im Podcast „Art Companion” von Benjamin Thaler über seinen künstlerischen Werdegang finden Sie hier: Reisen als Kunst.

Team

Projektmanagement:
Becky
Programmierung der Webseite:
Alex Kern
Grafik der Webseite:
Marina Gärtner, www.its-mee.com
Grafik Projektbeschreibung:
Lynn Johannsen
Foto:
Leah Girardin (Portrait)
Englische Übersetzung:
KI

Besonderen Dank an:

Flávia Mattar

Herzlichen Dank an:

Alle Mitglieder von YouTransfer e.V.
Allen Teilnehmenden an den Testläufen der Dyaden
Álvaro Garcia
Bernd Langohr
Bernd Müller
Bhakti
Bhante Sukhacitto
Christina Schmid
Christoph Bader
Clair Bötschi
Daniela Maier
Familie Beerstecher
Frits Koster
Gabriela Oberkofler
Harald Lorleberg
Heike Esch
Helen Turner & Pablo Wendel
Holger Heiten
Kay Stülpnagel, Katja Harzheim & Fridolin Stülpnagel
Linus Gramm
Marcella Ulloa
Andreas Bracher
Marco Fraleoni
Peter Zeile
Rainer Beck & Bettina Böhm
Salon Populaire: Ania Corcilius & Romy Range
Tobias Wall
Werner & Gaby Pokorny
Wolfgang Ullrich