
Am Tag meiner Ankunft in Koblenz entschied ich mich, nicht über die Fernwanderwege durch die Berge und Wälder in die Stadt zu laufen, sondern direkt am Rhein entlang auf dem Fahrradweg. Das bedeutete 13 Kilometer Asphalt – hart für meine Füße in den Barfußschuhen. Schon bald schmerzten mir die Füße und die Innenseiten der Unterschenkel. Als ich schließlich in Koblenz ankam, war ich ziemlich erschöpft.
Dazu kam, dass die Batterien meiner gesamten Technik fast leer waren: Handy, Powerbank, digitaler Notizblock. Gerade Letzterer, mit dem ich sonst still um eine Steckdose im Café bitten kann, hatte mal wieder den Dienst versagt, stürzte immer wieder ab. Frustriert saß ich da, ohne Plan, wie ich die Geräte aufladen sollte. Dann sprach mich ein Mann an, der meinen Rucksack gesehen hatte. Er fragte, wohin ich noch wolle, und als ich ihm mein Kärtchen gab, erinnerte er sich, vor ein paar Wochen bei SWR Kultur von meinem Projekt gehört zu haben. Spontan lud er mich in sein nahegelegenes Büro auf einen Kaffee oder Tee ein, wo ich zumindest die wichtigsten Akkus wieder etwas aufladen konnte.
Nach diesem netten Treffen war ich erleichtert, gönnte mir noch eine Ramensuppe in einem japanischen Restaurant und machte mich dann auf zum Deutschen Eck – eine Touristenattraktion, die ich noch nie gesehen hatte. Doch zwischen den vielen Besucher:innen fühlte ich mich als Wandersmann schnell deplatziert. Es passiert mir öfter, dass ich mich in solchen Momenten unter vielen Menschen einsamer fühle, als wenn ich allein in der Natur unterwegs bin.
Genau in dieser Stimmung kam plötzlich ein Obdachloser auf mich zu, einen Trolli hinter sich herziehend. Er fragte:
„Hast du ein paar Minuten Zeit, mir zuzuhören?“
Eine treffendere Frage zu meinem Projekt konnte es kaum geben. Ich strahlte ihn an, wies auf den freien Platz neben mir und reichte ihm mein Kärtchen. Damit brachte ich ihn völlig aus dem Konzept – wahrscheinlich war er in den letzten Jahren selten so willkommen geheißen worden.
Er setzte sich und erzählte kurz von seinem Leben: früher Feuerwehrmann in Berlin, dann der Druck, das viele Leid, der Alkohol – und schließlich der Absturz auf die Straße. Ich bot ihm Essen an, was er ablehnte. Auch um Geld bat er mich nicht. Stattdessen überlegte er, was er mir geben könnte, und zog nach wenigen Minuten ein 1-Cent-Stück aus seiner Tasche. „Ein Glückspfennig, den ich gefunden habe“, sagte er, „den darfst du niemals ausgeben. Der soll dir Glück bringen.“
Wir gaben uns mehrfach „Give Five“ und umarmten uns sogar zweimal, bevor er weiterzog.
Es war nur eine kurze Begegnung, vielleicht fünf Minuten, und doch hat sie uns beiden etwas geschenkt. Für ihn war es der Moment, nicht abgewiesen oder mit einer Münze abgespeist zu werden. Für mich war es die Erfahrung, wie viel Kraft in echter Aufmerksamkeit liegt.
Dieser kleine Glückspfennig hat meine Stimmung sofort gehoben. Und so waren die letzten Kilometer hinaus aus Koblenz, zurück in den Wald, auch nicht mehr ganz so schwer – trotz schmerzender Füße.